4. Bischemer Kultursommer 2023

Die Litfaßsäule als Symbol in der Kunst Zur Vernissage des Kunstwürfels am 28. Juni 2025 im Rahmen des 4. Bischemer Kultursommers


 

„Sieben Säulen der Kunst“

heißt das Projekt des „Kunstwürfels“, das bereits in der dritten Auflage im Rahmen des Bischemer Kultursommers stattfindet. Die Litfaßsäule ist ein Symbol für großstädtische Kommunikation und Werbung und war auch ein wiederkehrendes Element in Gemälden der sogenannten Neue Sachlichkeit in der Weimarer Republik. Rudolf Schlichter Bildnis von Egon Erwin Kisch aus dem Jahre 1927 wurde vor kurzem in der Jubiläumsausstellung der Kunsthalle Mannheim präsentiert. Er porträtiert den bekanntesten Journalisten seiner Zeit vor einer Litfaßsäule, um die dargestellte Person zu charakterisieren. 

 

 

Die Litfaßsäule als Hinweis auf das Spektrum von Interessen

Der in Prag geborene Kisch, der nach seinem gleichnamigen Buch als „der rasende Reporter“ in die Geschichte einging, berichtete immer am Puls der Zeit: aus den USA, der Sowjetunion, China oder Nordafrika. Die Litfaßsäule, die in Schlichters Bild in seinem Rücken zu sehen ist, gibt Hinweise auf das große Spektrum seiner Interessen und – mit dem Plakat der kommunistischen „Roten Hilfe“ – auf seine politische Einstellung. Auch steht Kisch nicht von ungefähr vor dem „Romanischen Café“ in Berlin, das in den 1920er-Jahren ein legendärer Treffpunkt von Kunstschaffenden und Intellektuellen war. Im Vorwort zum „Rasenden Reporter“ schrieb Kisch 1925:

 

„Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres gibt es in der Welt als die Zeit, in der man lebt. […] Der Reporter hat keine Tendenz, hat nicht zu rechtfertigen und hat keinen Standpunkt. Er hat unbefangen Zeuge zu sein und unbefangene Zeugenschaft zu liefern.“ 

 

Die Lebensgeschichte von Rudolf Schlichter spiegelt die Komplexität seiner Zeit: Er engagierte sich zunächst in politisch linken Organisationen und war Mitglied der kommunistischen Partei. Ende der 1920er-Jahre distanzierte er sich jedoch von der Berliner Avantgarde und wandte sich unter dem Einfluss seiner Frau dem Katholizismus zu. Mit seinem Umzug in die Heimatstadt Calw im Jahr 1932 trat er in Verbindung zum nationalkonservativen Kreis um Ernst Jünger. Damit vollzog Schlichter einen Bruch mit seiner Vergangenheit als linksengagierter Künstler, was ihn allerdings nicht davor bewahrte 1933 mit zeitweiligem Arbeitsverbot belegt zu werden.

 

Die Litfaßsäule als Spiegel des urbanen Lebens

In Mannheim war auch ein Gemälde aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe zu sehen: Georg Scholz‘ Selbstbildnis vor der Litfaßsäule. Das Selbstbildnis aus dem Jahr 1926 gilt als ein Hauptwerk des Künstlers, aber auch als wichtiges Beispiel der Malerei der Neuen Sachlichkeit. In ihm spiegeln sich die Veränderungen des urbanen Lebens wider – Litfaßsäulen, Reklameschriften, Benzinzapfsäulen, Schaufenster und Automobile sind die zugehörigen Elemente. Der Auftritt als arrivierter Bourgeois in eleganter Kleidung kann als Reflex auf Scholz’ neues Selbstverständnis gelesen werden. Im Verzicht auf eine aggressive und politische Tendenz glaubte er, neue und vorwärtsweisende Wege einzuschlagen. Mit fragend hochgezogenen Augenbrauen scheint er selbst über seinen Wandel zum gutsituierten Professor und gefragten Künstler erstaunt zu sein: Scholz wurde als Lehrer an die Landeskunstschule in Karlsruhe berufen. In der ersten Mannheimer Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit vor 100 Jahren war Scholz mit sieben Werken vertreten.

 

Die für Scholz‘ Werk typischen karikaturhaften Überzeichnungen und z.T. drastischen Darstellungen irritieren gerade durch ihre penibel-akkurate Ausführung. Hinter der Maske der sachlichen Aufgeräumtheit blickt einen der „ganz normale Wahnsinn“ an. Scholz scheint von diesen Brüchen, die für seine Zeit so typisch sind, gebannt zu sein. Er zeigt uns ein geradezu hypnotisches Schauen auf das Geschehen um ihn herum.

 

Die Litfaßsäule als Ausdruck der modernen Zeit

Wie schon auf dem Bildnis des Journalisten Egon Erwin Kisch von Rudolf Schlichter, steht auch bei Scholz die Litfaßsäule für eine moderne Zeit und urbane Kommunikation. Während Schlichter die Plakate ordentlich nebeneinander platziert, collagiert sie Scholz dagegen zu einem Babylonischen Gewirr von Wortfetzen. Die wenigen intakten Plakate verschwinden „optisch“ in der Krümmung der Säule oder werden vom Körper des Malers verdeckt: was bleibt ist eine dadaistische Kunst-Säule im öffentlichen Stadtraum. Vielstimmig, fragmentiert und laut. Prominent lesbar sind nur die Wörter Tanzabend und Weib.

 

 

Die Litfaßsäule als Motiv in Film und Literatur

Die Litfaßsäule taucht immer mal wieder in als Symbol in der jüngeren Kunstgeschichte auf, in Filmen und Büchern sowie bei allerlei Kunstaktionen „Der dritte Mann“ ist ein in Schwarzweiß gedrehter britischer Film Noir von Carol Reed aus dem Jahr 1949 nach einem Drehbuch von Graham Greene. Der Krimi spielt in Wien nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem unterirdisch. Einige der authentischen Drehorte wurden den Anforderungen des Drehbuchs angepasst: Die Litfaßsäule auf dem Platz, durch der die Hauptfigur in die Kanalisation hinabsteigt, war nur eine Attrappe.

 

„Moritz in der Litfaßsäule“ ist ein Kinderfilm der DDR aus dem Jahr 1983. Regie führte Rolf Losansky, der das Drehbuch nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Christa Kożik verfasste. Im Mittelpunkt steht der neunjährige Moritz Zack, die Dinge gerne langsam macht. Er lebt in einer Litfaßsäule, genießt das Leben und sieht sich alles ganz genau an. 

 

In der Erzählung „Tina oder über die Unsterblichkeit“ von Arno Schmidt (1956) spielt eine Darmstädter Litfaßsäule vor Schmidts damaliger Wohnung in der Inselstraße eine wichtige Rolle als Zugang in die Unterwelt. Anlässlich des 100. Geburtstags von Arno Schmidt 2014 bespielten Studierende der Hochschule Darmstadt ein Jahr lang die Litfaßsäule mit verschiedenen künstlerischen Aktionen.

 

Mit einer Kettensäge schnitt der Stuttgarter Künstler Erik Sturm im September 2021 aus einer Freiburger Litfaßsäule ein DIN A2 großes Stück von 450 Schichten Papier aus den letzten 20 Jahren. Nach einem ausgiebigen Wasserbad war es im Oktober Bürgern als Teil der Kunstaktion möglich, eine Papierschicht mit Freiburger Stadtgeschichte abzulösen und auf einen Kleiderbügel zu hängen. 

 

Es wird Zeit, dass „Wikipedia“ jetzt endlich auch die „Sieben Säulen der Kunst“ des Bischofsheimer Kunstwürfels zur Kenntnis nehmen und als ein Ereignis in ihrem Text über Litfaßsäulen aufnimmt. Allen, die zu diesem Projekt wiederum beigetragen haben sei herzlich gedankt, vor allem den Künstlerinnen und Künstler.

 

Literatur

Inge Herold, Johan Holten (Herausgeber*innen): 

Die Neue Sachlichkeit - Ein Jahrhundertjubiläum. Ausstellungskatalog

Deutscher Kunstverlag, Berlin 1924

 

Text von Professor Dr. Wolfgang Schneider